Darko Senekovi�
Wenn man seine Sache gut macht, bleibt das nicht unbeachtet
Aus Darko Senekovi� strahlen Zuversicht und Zufriedenheit. Beruflich beschäftigt er sich mit dem, was immer für ihn von Interesse war – mit dem Mittelalter. Privat ist sein Leben auch genau nach seinen Wünschen und Bedürfnissen organisiert. Seine gemütliche Wohnung mit holzbedeckten Wänden ist etwa fünf Gehminuten von der Uni entfernt. Ein Auto hat er nicht, nicht einmal einen Führerschein. Ein Mobiltelefon auch nicht. Trotzdem ist er mobil und erreichbar – so viel es nötig ist, ohne in Stress geraten zu müssen.
Das neuste Projekt, an dem Senekovi� tätig ist, ist eine vor kurzem eröffnete Fachstelle der Universität Zürich für mittelalterliches Latein. Das Mittellateinische Seminar hat diese Fachstelle ins Leben gerufen, um den Studenten und den Dozierenden die kompetente Beratung bei Verständnis- und Interpretationsproblemen mit lateinischen Texten anzubieten. Diese Tätigkeit ergänzt bestens Senekovi�’s andere Interessen im Bereich Mittelalter – die Kunst, Architektur, Hermeneutik, Lexikographie und Literatur aus dieser Epoche.
Herr Senekovi�, Sie sind in Zagreb aufgewachsen. Nach dem Klassischen Gymnasium haben Sie dort Ihr Jura-Studium abgeschlossen. Jetzt sind Sie in Zürich als Latinist und Kunsthistoriker tätig. Wie ist es zu diesem Sprung in Ihrer Karriere gekommen?
Inhaltlich war das kein Sprung, das war schon immer die Richtung, die ich einschlagen wollte.
Zürich war dann eher ein geographischer Sprung, eigentlich ein Zufall. Ich habe überlegt, wo ich Kunstgeschichte studieren soll. In Frage kamen Wien, Berlin oder Italien. In Wien habe ich ein Jahr lang Vorlesungen besucht. In Zürich kannte ich auch ein paar Leute. Hier gab es weniger Studierende, eine gute Bibliothek, alles war noch übersichtlich. So bin ich 1987 hier gelandet. Zürich ist auch meine Lieblingsstadt geblieben.
Latein war auch mein Interesse, aber am Anfang habe ich keine klaren Vorstellungen gehabt. Auch Latein habe ich in Zürich studiert, und zwar Mittellatein. Ich bin kein klassischer Philologe.
Das Klassische Gymnasium in Zagreb feierte in 2007
sein 400-jähriges Bestehen
Der Besuch des Zagreber Klassischen Gymnasiums hat mir hier sehr weitergeholfen. Die Zeit in Kroatien war für mich sehr wichtig, vor allem weil ich dort eine sehr gute Ausbildung bekommen habe.
Ihr Deutsch ist perfekt…
Meine Mutter war deutschsprachig aufgewachsen. Sie sprach immer Deutsch mit mir. Ich habe jedoch relativ spät begonnen, auch auf Deutsch zu antworten. Jetzt ist jedoch Deutsch die Sprache, in der ich denke.
Haben Sie je als Jurist gearbeitet?
Etwa sechs Monate, und zwar im Zagreber Stadtarchiv. Dass ich Jura studiere war eigentlich ein Wunsch meines Vaters, der auch Jurist war. Widersetzen konnte und wollte ich mich damals nicht. Ich wusste jedoch von Anfang an, dass ich mich später damit nicht beschäftigen würde. Auch die Arbeit im Stadtarchiv hat gezeigt, dass die Geschichte für mich die richtige Richtung war.
Aber zielstrebig bin ich nie gewesen. Eher bin ich offen und lasse auf mich zukommen, was es gibt. Meine Grossmutter war Wienerin, in Wien habe ich sie oft besucht und schon einige Kontakte geknüpft. Also ging ich nach Wien, um zu schauen, wie es wird. Bleiben wollte ich damals etwa zwei Wochen, und ich bin nie wieder nach Zagreb zurückgekommen!
Was hat Sie veranlasst, nach dem Studium der Kunstgeschichte in Zürich zu bleiben?
Schon während dem Studium habe ich an verschiedenen Projekten mitgewirkt. Ich fühle mich manchmal noch immer als Student. Mein Abschluss war kein Abschnitt. An den Projekten habe ich weitergemacht und bin gerne an der Uni geblieben. Hier wurde ich immer gut unterstützt, von Professoren und Kollegen. Deshalb habe ich die Schweiz gerne, hier ist die persönliche Kommunikation ganz unkompliziert.
Ich kenne keinen Samstag oder Sonntag, Ferien habe ich zuletzt vor zwei Jahren gehabt. Und diese Art der Arbeit liegt mir sehr. Sie ist nicht monoton und entspricht genau meiner bevorzugten Lebens- und Arbeitsweise.
Die Uni ist kein Elfenbeinturm, sondern hat ein grosses Potential. Auch mit dem Mittelalter sind wir in der Gegenwart. Sie ist kein Ort, wo man primär Wissen vermittelt, sondern ein Ort, wo gedacht wird. Ideen werden ausgetauscht, es wird weitergedacht, experimentiert. Das Wissen eignet man sich eigentlich selber an. In den Diskussionen oder Auseinandersetzungen lernt man hier, mit dem Wissen eigenständig umzugehen. Das finde ich sehr wichtig. Wenn man seine Sache gut macht, bleibt das nicht unbeachtet.
Die Arbeit an der Uni hat jedoch auch Nachteile. Ich habe keine sichere Stelle. Sicherheitsdenken musste ich also ablegen. Aber diesen Preis bezahle ich gerne für das, was ich bekomme. Diese Unsicherheit hat auch einen Reiz für mich.
Was machen Sie zur Zeit?
Im Moment arbeite ich an einem Rom Projekt – Die Kirchen Roms im Mittelalter. Das Projekt ist mit einer mehrbändigen Publikation von Professor Claussen, an der ich auch mitmache, verbunden.
Sonst mache ich andere Sachen wie zum Beispiel die “Fachstelle Latein”. Die gibt es seit dem letzten Jahr. Dieses Fach soll mehr Beachtung in der Öffentlichkeit finden. Bedarf gibt es mehr, als man zuerst gedacht hat. Vor allem sind wir für Historiker und Historikerinnen da, aber auch für andere historische Fächer, inklusive z.B. Naturwissenschaften und Rechtsgeschichte.
Ich beteilige mich aber auch gern an Projekten, die in der Gegenwart angesiedelt sind. Vor etwa einem Jahr war ich einer der Initiatoren und Organisatoren einer Tagung über zeitgenössische Kunst und Urbanität in Bukarest (www.citysharing.ch). Ich wünsche mir mehr solche Projekte.
Als Laie denkt man, dass die Kirchen in Rom, da sie so nahe liegen, schon lange alle gründlich erforscht wurden…
Alles, was zugänglich ist, ist tatsächlich schon lange erschlossen. Die Forschungstradition geht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Manche Kirchen gibt es jedoch nicht mehr, sie wurden in früher Neuzeit abgerissen. Wir arbeiten nun mit frühneuzeitlichen Quellen, wo die mittelalterlichen Kirchen beschrieben worden sind. Solche Quellen gibt es viele, doch sie sind wenig berücksichtigt worden.
Dieses Projekt läuft seit fünf Jahren und wird noch so lange dauern, bis es eine Finanzierung gibt. Vom Material her könnte es noch zehn Jahre dauern. Die Publikation ist alphabetisch organisiert, wir sind mit Band M im Druck.
Alphabetisch – nach dem Namen der Kirche?
Ja. Chronologisch konnte man die Materie nicht anpacken, da die meisten Bauten eine äusserst komplexe Baugeschichte haben. Eine topographische Anordnung würde andererseits für die meisten Benützer unübersichtlich bleiben. So war von Anfang an klar, dass das Material alphabetisch geordnet werden soll.
Ihr Interesse ist also mit dem Mittelalter in mehreren Aspekten verbunden.
Genau. Mittellatein erfasst die Zeit vom 5. bis etwa 15. Jahrhundert. Das ist also die Periode, in der ich mich mit meiner Forschung bewege. Bei der Fachstelle Mittellatein ist die Zeitspanne jedoch grösser. Das Neulatein gibt es auch noch nach dem 16. Jahrhundert.
Ich unterrichte auch ab und zu Mittellatein, vor allem die Textlektüre. In diesem Semester sind es Texte für Historiker und Historikerinnen gewesen.
In welchen Bereichen haben Sie vor allem publiziert?
Da meine Interessen breit gestreut sind, publiziere ich zu sehr unterschiedlichen Themen aus den Bereichen Kunst, Kunstgeschichte und mittellateinische Philologie. Ich möchte nur als Beispiel erwähnen, dass ich bis jetzt einerseits Texte zum Werk zeitgenössischer Künstler (z.B. Roman Ondak aus Bratislava oder Joa Iselin und Christoph Ranzenhofer aus Zürich) verfasst habe, aber auch wissenschaftliche Aufsätze, so unter anderem zu einem kumanisch-lateinischen Wörterbuch aus dem 14. Jahrhundert oder zu einem Renaissance-Tabernakel in Rom.
Wie lebendig ist das Latein heute?
In der Regel schreibt heute niemand mehr Latein. Es gibt zwar einige wenige, die aus Spass an der Sprache Gedichte auf Latein schreiben, und das Latein ist immer noch eine der Amtssprachen des Vatikanstaates, doch beides liegt eher nicht in meinem Interessenshorizont. Das Latein ist sicher keine lebendige Sprache, aber eine, die aus der historischen Forschung nicht wegzudenken ist.
Und Ihre Zukunftspläne?
Es sind keine besonderen. Ich wünsche mir, dass es wieder neue gute Projekte gibt, an denen ich mitmachen kann.
Interview geführt: Vesna Poli�
Aus der Libra Nr. 20, Zeitschrift des Kroatischen Kulturklubs
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PS:
Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels im Netz (2011) sind folgende Bände des Buches „Die Kirchen der Stadt Rom im Mittelalter 1050-1300“ erschienen:
- Band 1: S. Adriano bis S. Francesca Romana von Peter Cornelius Claussen (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 20), Stuttgart : Steiner 2002.
- Band 2: S. Giovanni in Laterano von Peter Cornelius Claussen mit einem Beitrag von Darko Senekovic über S. Giovanni in Fonte (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 21), Stuttgart : Steiner 2008.
- Band 3: S. Giacomo Alla Lungara Bis S. Lucia Della Tinta von Peter Cornelius Claussen, Daniela Mondini, Darko Senekovic. (Forschungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie 22), Stuttgart : Steiner 2010
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