Profitiert Kroatien von der „Wanderung der Gehirne“?
Interview mit Dr. Saša Zelenika
Während sich in Kroatien viele beklagen, dass die jungen und gebildeten Leute auf der Suche nach besseren Bedingungen, Erfolgen und Gehältern das Land verlassen, kehrte ein anerkannter und erfolgreicher Fachmann, Dr.Saša Zelenika, aus der Schweiz nach Rijeka zurück; man könnte sagen, in der fruchtbarsten und erfolgreichsten Phase seiner Karriere. Als affirmierter Wissenschaftler, der daran interessiert ist, dass sich einige Sachen in Kroatien auf dem Gebiet der Wissenschaft mit mehr Erfolg zu entwickeln beginnen, hat er sich dort angeschlossen, wo er gehofft hat, mit seiner Arbeit, Erfahrung und seinem Wissen helfen zu können. Er war so freundlich, die Einladung der Libra anzunehmen, um mit uns im Interview seine neuesten Erfahrungen in Kroatien zu besprechen:
Herr Zelenika, können Sie sich kurz vorstellen, und beschreiben wo und woran Sie zurzeit arbeiten?
Ich bin ein ganz gewöhnlicher „Junge aus Rijeka“. In meinem Geburtsort habe ich die Grundschule und die ersten drei Klassen der Mittelschule beendet. Maturiert habe ich in den USA während meines Schüleraustausches, das Maschinenbaustudium habe ich an der Technischen Fakultät in Rijeka abgeschlossen, danach den Doktor an der Polytechnischen Universität in Turin in Italien gemacht. In Italien habe ich ein paar Jahre meinen Beruf ausgeübt. Danach bin ich zum Paul Scherrer Institut PSI in die Schweiz gewechselt , wo ich zunächst Leiter der Gruppe für Maschinenbau beim Projekt Swiss Light Source war, danach Leiter der ganzen Abteilung für die Maschinenbauwissenschaften mit ungefähr 90 Beschäftigten und einem Budget von ca. 10 Mio. Franken. Seit 2004 bin ich teil- und seit Mitte 2005 vollzeitig an der Technischen Fakultät (zurzeit als ausserordentlicher Professor) in meiner Lieblingsstadt Rijeka tätig. Ich arbeite auch als Gastprofessor an der Universität in Udine in Italien. Ich bin ebenfalls Leiter und Mitarbeiter an mehreren nationalen und internationalen Wissenschafts- und Forschungsprojekten, führe neue Kollegen ein, bin Mitglied des Ausschusses für die Verwaltung des „Fonds Einheit mit Hilfe des Wissens“, der mit der Unterstützung der Weltbank die Zusammenarbeit unserer Wissenschaftler in der Heimat und im Ausland fördert; ich bin auch Mitglied des Beirats für den nationalen Innovationsplan der Regierung der Republik Kroatien sowie Mitglied der Jury bei der Schau für die wissenschaftliche Schöpfung der Jugendlichen - VIP Eureka. Im Grossen und Ganzen bedeutet das alles sehr viel Arbeit. Wichtiger aber ist vor allem: Ich bin verheiratet und habe drei wunderbare Kinder, und meine Zwillingstöchter wurden gerade in der Schweiz geboren.
Bis vor kurzer Zeit waren Sie in der Schweiz tätig, am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen. Worin liegt Ihrer Meinung nach der grösste Unterschied zwischen der Arbeit am PSI und an der Universität von Rijeka?
Neben den evidenten Verschiedenheiten in der Ausstattung liegt meiner Meinung nach der bedeutendste Unterschied im professionellen Verhältnis zur Arbeit, was hier noch immer sehr mangelhaft ist. Ausserdem überwiegen bei uns noch immer irrationelle Clanzugehörigkeiten, Nepotismus, Klientelismus, grosse Träghei. All das gibt es natürlich auch in der Schweiz, aber in einem bedeutend kleineren Umfang, so dass man sich ruhig auf den eigenen Beruf konzentrieren kann, ohne sich in den tragikomischen Spielereien zu erschöpfen. Diesbezüglich ist die Situation in Rijeka noch besser als leider in einigen anderen Zentren.
Es ist bekannt, dass Kroatien grosse Probleme mit dem „Gehirnabfluss“ hat, Sie sind aber gerade in die entgegengesetzte Richtung gegangen, Sie haben die Schweiz verlassen und sind nach Kroatien zurückgekehrt. Was hat Sie zu diesem Entschluss veranlasst und worauf haben Sie in Bezug auf Ihren Beruf in Kroatien gehofft?
In der Familie haben wir uns geeinigt, dass das Glück unserer Kinder an der ersten Stelle steht und dass für ihre Schulbildung die entspannte Atmosphäre in Kroatien in der Nähe von Verwandten eine bessere Option ist als das sehr restriktive und geschlossene Bildungssystem in der Schweiz. Hinter unserer Entscheidung stehen also familiäre Gründe; für mich andererseits war es ganz klar, was mich in Kroatien beruflich erwartete. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass man immer häufiger nicht über die Abwanderung und Zuwanderung sondern über die Wanderung der Gehirne spricht, so dass diese Entscheidung vielleicht nur eine Phase meiner Karriere bedeutet.
Wie wurden Sie in Kroatien von Ihren Kollegen und Wissenschaftlern aufgenommen?
Hm, sagen wir, dass mich die meisten tolerieren, obwohl es sie sehr stört, dass ich auf klare und in der Welt relevante Kriterien bei der Arbeit und dem Vorwärtskommen bestehe. Gerade deswegen bin ich nicht sehr „beliebt“ bei vielen meiner „Kollegen“, obwohl immer eine grössere Anzahl von ihnen einsieht, dass wir uns ändern müssen, wenn wir auf der Landkarte der relevanten wissenschaftlichen Systeme Europas weiter existieren wollen. Die Situation für die Eröffnung einer Diskussion über viele Fragen unseres von vielen Problemen belasteten Systems und der Gesellschaft ist heute jedoch viel besser als noch vor drei Jahren.
Würden Sie anderen jungen Wissenschaftlern empfehlen, wie Sie auch nach Kroatien zurückzukehren?
Es bestehen keine allgemeingültigen Empfehlungen. Jeder Einzelne muss aufgrund seiner professionellen und persönlichen Situation abschätzen, was zu machen ist. Wer jung genug ist und sich auf dem eigenen Arbeitsgebiet affirmieren will, wird das wirksamer und mit weniger Frustration im Ausland verwirklichen. Wenn jemand aber die Entscheidung trifft, uns, die hier „Windmühlen stürmen“, zu helfen, ist er jedenfalls bei uns willkommen. Immerhin hat man nur eine Heimat, wenn auch manchmal sehr schwer zu akzeptieren ist, dass einige amtliche Vertreter, die von Seiten der Steuerpflichtigen bezahlt werden, sich selbst und der Heimat Schaden zufügen.
Was denken Sie, warum verlässt heute jeder dritte junge Mensch mit dem Hochschulabschluss Kroatien?
Gerade weil sie enttäuscht sind durch die Unwirksamkeit vieler Segmente der Gesellschaft und des Wissenschaftssystems. Man hat keine Lust, Energie und Nerven an die Arbeitsweise zu verlieren, die sich meist als unproduktiv erwiesen hat. Viele von ihnen versuchen aber, wie auch ich Kroatien und seinem Wissenschaftssystem zu helfen. Es tut mir sehr Leid, dass einige von den zuletzt erwähnten gerade wegen ihres grossen Wunsches, der Heimat und besonders den jungen Leuten in Kroatien zu helfen, sehr gemeine, hinterhältige, ich würde sogar sagen, abscheuliche Angriffe erleben, nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von einigen amtlichen Vertretern der Republik Kroatien. Sehen Sie sich nur an, was die Kollegen Radman und �iki� alles erlebt haben. Wenn die Republik Kroatien prosperieren und ihren Kindern eine gute Zukunft sichern will, sollten solche Vorkommnisse auf direkte Weise öffentlich verurteilt werden, und diejenigen Individuen, die durch ihre Arbeit den Staatsämtern und den unzähligen Berufstätigen, die gewissenhaft und mit grossem Engagement zum Wohl Kroatiens zu arbeiten versuchen, Schande zufügen, sollte man energisch aus dem öffentlichen Leben entfernen.
Wissenschaftler in Kroatien führen am häufigsten als Ursache für die schwächere Produktivität im Vergleich zu den Kollegen an den Weltinstitutionen den Mangel an Mitteln an; sind Sie damit einverstanden?
Nein. Hinsichtlich der gegenwärtigen Möglichkeiten unseres Landes gibt es genügend Mittel. Jedes Jahr werden von Seiten des Ministeriums für Wissenschaft, Bildung und Sport ca. 150 Millionen Kuna für die wissenschaftlichen Projekte zur Verfügung gestellt, ca. 40 Millionen für die wissenschaftliche Ausstattung, ca. 110 Millionen für den technologischen Sektor, ca. 15 Millionen für das wissenschaftliche Publizieren, ca. 300 Millionen für wissenschaftliche Anfänger usw. Das Problem ist, dass man diese Mittel sehr unvernünftig verwaltet, etwa nach der Zugehörigkeit zu einzelnen Interessengruppen oder nach verwandtschaftlichen Beziehungen und nicht nach objektiven Kriterien, die in den entwickelten Westländern gelten.
Wenn Sie Wissenschaftsminister wären, was würden Sie zuerst angesichts der Wissenschaft in Kroatien machen?
Ich würde mich mit kompetenten Mitarbeitern umgeben; anstatt der staatlichen Verwaltung würde ich die staatliche Aufsicht einführen; an alle anspruchsvollen Stellen würde ich die besten Fachleute (aus dem Lande oder aus dem Ausland, Einheimische oder Ausländer, egal, die Hauptsache wäre, sie wären die Fähigsten auf ihrem Arbeitsgebiet, kompetent und arbeitswillig); ich würde mir die als erfolgreich erwiesenen objektiven Kriterien aus dem Ausland aneignen; ich würde nur eine kleine Anzahl der Prioritäten bestimmen, auf die ich die Ressourcen (auch menschliche) konzentrieren würde. Grundsätzlich musste man das machen, was unsere erfolgreichen Manager, die unsere Firmen leiten (in welchen schon 4000 ausländische Manager höhere Posten inne haben), tun. Das Beibehalten des gegenwärtigen Zustandes mit den nur ästhetischen Änderungen, die sowohl von einer Riesenmenge an der Selbstpromotion vor den Medien als auch von einem grossem Missverhältnis zwischen den Mitteilungen und den wirklichen Aktivitäten bei der Durchführung begleitet sind, schaden allen im System, besonders den Besten und den Produktivsten.
Vor kurzem haben Sie mit einer Gruppe von Gleichgesinnten das Forum für ethisches Handeln und Entwicklung der Wissenschaft und der Hochschulbildung ins Leben gerufen. Was haben Sie bisher erreicht und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Durch öffentliche Äusserungen (über Interessenkonflikte, über die HAZU – die Kroatische Akademie der Wissenschaft und Kunst, über einige Aspekte des Umgangs mit Professor �iki� in unserer Öffentlichkeit), durch das Organisieren der Gesprächstribünen, durch das Veranlassen von Preisauszeichnungen versuchen wir, das System zu beeinflussen, auf die Probleme hinzuweisen und die Diskussion über die Art und Weise einer Lösung anzuregen. Als wir mit der Forum-Gründung begonnen hatten, haben uns viele Wohlgesinnte aus eigener Erfahrung vorausgesagt, dass wir, je mehr wir uns dem Problemkern nähern, immer gemeinere Angriffe erleben würden, denen auch Anonymbriefe mit hinterhältigstem und abscheulichstem Inhalt folgen würden. Das hat sich leider als wahr erwiesen.
Die Nervosität der Einzelnen aber zeigt, dass wir dem Problemkern wirklich näher kommen. Die Tatsache aber, dass solche Individuen zu Kräften gekommen sind und aus der geschützten und teils illegalen Anonymität heraus operierten, um wichtige Stellen in einigen Ministerien zu besetzen, spricht dafür, dass die Situation schlechter und tragischer ist, als es bei der Gründung des Forums überhaupt zu erahnen war.
Sind Sie der Meinung, dass es wirklich zu der versprochenen Reform der kroatischen Wissenschaft kommen wird und wann sollte das sein?
Viele sehr fleissige und scharfsinnige Personen, die mich auch manchmal in ihre Aktivitäten einschliessen, arbeiten daran. Die Situation ist nicht leicht, weil die Widerstände und die Trägheit des Systems enorm sind. Ich hoffe, dass uns die Umgebung zwingen wird, einige Reformen durchzuführen, und es hängt von uns ab, ob wir dabei erfolgreich sind, uns weiterentwickeln werden oder die Reformen wie häufig bisher fingieren, was als Folge Stagnation oder sogar Rückgang bedeutete. Von meiner Natur her bin ich Optimist, aber ich muss sagen, dass ich nicht glaube, bald die hohen Standards zu erreichen, mit denen wir uns mit dem Ausland vergleichen könnten oder möchten.
Text: Martina Mijuškovi�
Übersetzung: Sanja Lipnjak
Aus der Libra Nr. 23 (2008), der Zeitschrift des Kroatischen Kulturklubs der Schweiz
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