22.05.2011.
"Es ist leicht, hier fremd zu sein"
„Mit dem Umzug nach Basel habe ich selbständig die Entscheidung getroffen,
eine Ausländerin zu sein, aber das ist mein natürlicher Zustand."
Von Mazedonien über Kroatien in die Schweiz: die Slawistin Tatjana Simeunovi� erzählt von ihren Migrationen und warum für sie „Ausländersein“ ein natürlicher Zustand ist
„Seit ich denken kann, war ich von mehreren Sprachen umgeben", erzählt Tatjana Simeunovi�. Als Kind serbischer Eltern aus Kroatien wuchs Tatjana in den Siebziger Jahren in Bitola, einer Grenzstadt in Mazedonien, auf. Die ersten vier Schulklassen besuchte sie den Unterricht vorwiegend auf Serbokroatisch. Für die Möglichkeit, in Mazedonien fremdsprachigen Unterricht zu erhalten, nahm sie einen wesentlich längeren Schulweg auf sich.
Mehrsprachige Schule
Tatjana erinnert sich: „Diese Schule war besonders, es gab serbokroatische, türkische und albanische Schulklassen. Und mazedonische natürlich auch. Diese Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt waren eine völlige Selbstverständlichkeit. Natürlich wussten wir Kinder, dass es gewisse Unterschiede zwischen uns gab, und auf dem Schulhof waren wir nicht völlig durchmischt. Aber diese Unterschiede waren nicht so wichtig, und es war uns allen klar, dass in unserer Schule alle diese Kulturen ihren Platz hatten." Mazedonisch fließt heute noch als Arbeitssprache in ihre Tätigkeit als Dolmetscherin ein.
Leben an der kroatisch-ungarischen Grenze
Im Alter von vierzehn Jahren zog Tatjana in das Heimatland ihrer Eltern nach Kroatien, an die ungarische Grenze. „Es ist wohl mein Schicksal, immer in der Nähe von Grenzen zu leben", schmunzelt sie. Nun galt es, die kroatische Variante der serbokroatischen Sprache zu erlernen. „Es war nicht ganz leicht am Anfang, aber sobald ich Freunde gefunden hatte, gewöhnte ich mich an Kroatisch. Heute betrachte ich die kroatische Sprache als meine Muttersprache", resümiert Tatjana.
Als Einzelkind habe man gar keine andere Wahl, als so schnell wie möglich andere Kinder kennenzulernen und sich anzupassen. Die Umstellung auf neue Sprachen sei ihr nie schwer gefallen. „Das Leben inmitten von verschiedenen Kulturen und Sprachen habe ich nie als problematisch erlebt, weil es für mich immer normal und omnipräsent war, dass Vieles nebeneinander existiert. Das fing schon bei den Turzismen in der mazedonischen Sprache an."
Überall heimisch, überall fremd
Nach dem Schulabschluss folgte dann der Umzug nach Zagreb, zum Studium der Kroatistik und der Südslawischen Philologie. Rückblickend sagt Tatjana, dass sie sich im früheren Jugoslawien überall heimisch, aber zugleich überall fremd gefühlt habe. Ihre Biographie sei immer anders gewesen als die ihrer Schul- oder Studienkollegen, sie habe tausend Kilometer fahren müssen, um ihre Grosseltern zu sehen, als Studentin sei sie nicht wie die meisten jedes Wochenende nach Hause gefahren, aber das habe sie nicht gestört.
Neuanfang in Basel
Nach dem Studium beschloss Tatjana, nach Basel zu ziehen. Warum ausgerechnet Basel? „Ich hatte eine Tante in Basel und verbrachte manchmal die Ferien hier. Nach dem Studium wollte ich etwas ganz Neues ausprobieren", erzählt Tatjana. Auch hier, abermals die schicksalhafte Nähe zur Grenze: Ein Katzensprung nach Frankreich, und auch nach Deutschland ist es nicht weit. „Ich mag es, etwas in der Nähe zu haben, das wieder ganz anders ist. Schon bei meinem ersten Besuch fiel mir die sprachliche und kulturelle Vielfalt in Basel positiv auf." Sie gehört zu den Schweizer Migranten, was aber nicht bedeutet, dass sie sich fremd fühlt: „Mit dem Umzug nach Basel habe ich selbständig die Entscheidung getroffen, eine Ausländerin zu sein, aber das ist mein natürlicher Zustand. Vielleicht ist es auf Grund dieser freiwilligen Entscheidung für mich am leichtesten, hier fremd zu sein."
„Ich baue nicht irgendwo ein Haus“
Tatjana lebt seit nunmehr vierzehn Jahren in Basel. Schon während des Studiums der Russistik und Germanistik an der Universität Basel begann sie, Russisch am Gymnasium zu unterrichten. Später übernahm sie die Stelle als Lektorin für Kroatisch und Serbisch am slawischen Institut, wo sie sich auch mit dem Schwerpunkt Film beschäftigte. Im Rahmen ihrer Dissertation setzt sie sich mit dem Tito-Kult um Partisanenfilm auseinander und fördert Kooperationen, die dem Schweizer Publikum Filme aus Südosteuropa näherbringen.
Auf die „Gretchenfrage“ nach dem ganz persönlichen Gefühl von Zuhause antwortet Tatjana: „Es ist nicht so, dass ich zum Geldverdienen da bin, um mir in meiner alten Heimat ein Haus zu bauen. Ich lebe hier, und hier ist mein Zuhause. Aber ich bin auch an anderen Orten daheim, zum Beispiel in Mazedonien, in Kroatien und jetzt auch in Belgrad, wo meine Eltern inzwischen leben." Ob das Leben weitere Migrationen für sie bereit hält? "Schon möglich. Jetzt bin ich hier, aber wer weiß, was die Zukunft noch bringt?"
Quelle: daStandard.at, Mascha Dabi�, 12. Mai 2011 |