Ein kroatischer Havel? Vlado Gotovac - hrvatski Havel?
28. April 2007, Neue Z�rcher Zeitung
Ein kroatischer Havel?
Vlado Gotovac - Erinnerung an einen mutigen Dissidenten
und tiefgr�ndigen Dichter und Denker
Es sei besser, von Kroatien zu tr�umen, als dar�ber nachzudenken,
heisst es in einem der Gedichte von Vlado Gotovac (1930-2000). Von
den Kommunisten zweimal verurteilt, sp�ter von der Polizei Tudjmans
beinahe zu Tode gepr�gelt, stand der Dichter, Philosoph und Essayist
zeitlebens zwischen den Fronten. Sein Werk ist noch zu entdecken.
Von Rudolf Stamm
Vlado Gotovac habe ich �ber Milovan Djilas gefunden. Der montenegrinische
Partisan, der in den f�nfziger Jahren als erster direkt Beteiligter
die Segnungen des Kommunismus �ffentlich in Frage zu stellen gewagt
und mit Tito gebrochen hatte, stand 1978 nach der Publikation seiner
Kriegsmemoiren abermals im Rampenlicht der �ffentlichkeit. Wie viele
andere auch f�hlte er, dass es mit dem 86-j�hrigen Josip Broz Tito
zu Ende ging; allen Divergenzen zum Trotz wollte er zu einem glimpflichen
Verlauf des schwierigen �bergangs beitragen. Djilas unternahm von
Belgrad aus eine Reise durch die Republiken und suchte nach Personen
mit gen�gend Gewicht, um nach Titos Tod das Aufflackern eines unkontrollierten
Nationalismus einzud�mmen. In Zagreb traf er mit Vlado Gotovac zusammen,
dessen Namen er mir nebst einigen anderen auf einem Fetzen Papier
mit auf den Weg gab.
Dem unangemeldeten Eintreffen zum Trotz wurde ich in der Wohnung
Gotovacs freundlich und ohne Misstrauen empfangen. Ein Terrier hatte
dem ganzen Block kundgetan, dass im ersten Stock ein Besucher eingetroffen
sei, doch der Regimekritiker liess sich dadurch nicht beirren. Er
liess sich seinen Umgang nicht von der Polizei konditionieren, und
er schien zu sp�ren, ob der Besucher lautere Absichten hatte oder
nicht.
URBANISIERUNG EINES LANDBUBEN
Vlado Gotovac stammte aus Imotski, einem Flecken im Hinterland
der dalmatinischen K�ste. Sein Vater war Gendarm, seine Mutter Hausfrau
und, wie er selbst schreibt, Analphabetin. Der Postenchef Stan�evi�
brachte dem Knaben schon vor der Schule das Lesen bei. Die erste
Lekt�re war ein Gendarmerie-Anzeiger, darauf folgte das Strafgesetzbuch
des K�nigreichs Jugoslawien. Beide waren in kyrillischer Schrift
und f�r die stilistische F�rderung des sp�teren Literaten nur in
beschr�nktem Masse geeignet, doch das Interesse am Lesen war geweckt.
Den Literaturdurst des heranwachsenden Vlado stillten Dostojewski,
Ivo Andri�, die franz�sischen Romane des 19. Jahrhunderts, schliesslich
die kroatischen Autoren, allen voran Miroslav Krle�a. Nach dem Abitur
belegte Gotovac an der Universit�t Zagreb Philosophie und Italienisch.
Dantes "Divina Commedia", in der alle Leiden und Erh�hungen
des Seins beschrieben sind, wurde zu einem der grossen Wegweiser
in seinem Leben.
In der grossen Politik schrieb man das Jahr 1948. Nach dem Bruch
zwischen Stalin und Tito begann f�r Jugoslawien eine �usserst harte
Zeit. Erst f�nf Jahre sp�ter hatte der balkanische Vielv�lkerstaat
seine Position zwischen den milit�rischen Bl�cken gefunden. Den
�usseren Umst�nden und Lebensbedingungen entsprechend beschr�nkten
sich die Vorbehalte des jungen Gotovac gegen�ber dem kommunistischen
System auf die Manie, alles und jedes zu kollektivieren und das
Individuum einzuengen. Die Suche nach einem eigenen Weg zum Sozialismus
stellte er in den f�nfziger Jahren nicht rundweg in Frage; das jugoslawische
System bot damals mehr Freiheit und Entfaltungsm�glichkeit als irgendein
Land im Ostblock. Mit dem titoistischen System, das die Freiheit
nicht grunds�tzlich gew�hrte, sondern nur in Form eines Zuschlags
zu jener miserablen Freiheit, die den B�rgern des Ostblocks gestattet
war, geriet er erst sp�ter in Konflikt.
Nach Abschluss des Studiums arbeitete Gotovac in Zagreb als Radiojournalist
und Schriftsteller; er schrieb Gedichte. Sein Bildungshunger war
unstillbar und nach 360 Grad ausgerichtet. War seine Vorstellungswelt
zun�chst slawisch und mediterran gepr�gt, griff er sp�ter nach Mitteleuropa
und nach den franz�sischen Existenzialisten aus. Alle Lekt�re war
f�r ihn Auseinandersetzung - was Shakespeare f�r Ulrich Br�ker,
waren russische, deutsche, franz�sische, serbische Autoren f�r ihn.
So wetzte er sich an Hegel, Novalis, Nietzsche, Oswald Spengler,
an Sartre, Albert Camus, Paul Ricoeur. �berfl�ssig zu unterstreichen,
dass er als praktischer Philosoph und Dialektiker in ihrem Denken
seine eigene Bedr�ngnis reflektierte. Die Folge war eine immer kritischere
Einstellung zu Jugoslawien und zu dessen verkrampfter Gesellschaftsordnung.
Mitte der sechziger Jahre war er durch die praktische Lebenserfahrung
davon �berzeugt, der Kommunismus sei eine Utopie.
Als schreibender Journalist trat Vlado Gotovac w�hrend des kroatischen
Fr�hlings in Erscheinung. Er leitete den "Hrvatski tjednik",
das Organ des kroatischen Kulturverbands Matica hrvatska. Die gesellschaftliche
G�rung, die in Westeuropa 1968 ihre Klimax erreicht hatte, und das
Infragestellen der Allmacht der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei
fanden in Jugoslawien Widerhall, allerdings mit Versp�tung. Um sich
die Sympathien des Westens nicht zu verscherzen und um in der Dritten
Welt als reale Alternative zum Ostblock zu gelten, schaute Tito
dem Treiben der Intellektuellen eine Zeitlang zu, bevor er ihm mit
dem ber�hmten Pismo (Brief) von Karadjordjevo im Dezember 1971 ein
j�hes Ende setzte.
Die politische F�hrung in Zagreb wurde ausgetauscht, den Intellektuellen
der Prozess gemacht. Als f�hrender Repr�sentant der Matica hrvatska
wurde Gotovac des "subversiven Nationalismus" angeklagt
und zu vier Jahren Gef�ngnis verurteilt; auf die Verb�ssung der
Strafe folgten noch einige Jahre Publikationsverbot. Bis dahin hatte
er weder das System der Selbstverwaltung noch die verfassungsm�ssige
Ordnung noch die territoriale Gliederung Jugoslawiens in Frage gestellt.
Er kritisierte einerseits die Beschr�nkung der pers�nlichen Freiheit,
anderseits die faktische Dominanz der Serben in der F�deration und
ihren unverh�ltnism�ssig grossen Einfluss in der Teilrepublik Kroatien.
Doch dies war einem Kroaten nicht erlaubt. Die Kommunisten dr�ckten
ihm den Stempel des Nationalisten auf und r�ckten ihn damit in die
N�he der faschistischen Ustascha. Die blosse Ann�herung des kroatisch-patriotischen
Freidenkers Gotovac an die M�rderbanden des Ante Paveli� war grotesk,
aber f�r das Gericht war sie verbindlich. Gotovacs fulminante Verteidigungsrede
h�lt als Dokument eines innerlich freien Menschen vor der Geschichte
stand, vor jenem Gericht war sie in den Wind gesprochen. Das Urteil
hatte auch abschreckende Wirkung auf westliche Journalisten, die
sich nicht mit einem notorischen "Nationalisten" einlassen
wollten.
Wer das Gl�ck hatte, ihn zu treffen, lernte einen vielschichtigen
und differenzierten Analytiker der Situation in Jugoslawien kennen.
Seine kroatischen Freunde schildern ihn als hervorragenden Redner
und Debattierer, aber auch in der Fremdsprache (Franz�sisch oder
Italienisch) argumentierte er �berzeugend. Mit grosser Behendigkeit
durchdrang er das konkrete Thema philosophisch und abstrahierte
es. In der Einsamkeit der Zelle hatte er viel nachgedacht und vieles
zu Papier gebracht, Gedichte und Essays. Deutsch sprach er nicht,
aber er las es. Die im weitesten Sinne deutsche Kultur und die deutsche
Literatur zu kennen, empfand er als B�rger eines habsburgischen
Nachfolgestaates als Pflicht. Vlado Gotovac trat seinen Gespr�chspartnern
nicht mit Vertrauensseligkeit gegen�ber, sondern mit der inneren
�berzeugung, dass man zu seinen Ansichten und Entscheidungen stehen
m�sse. Vier Jahre Gef�ngnis hatten ihn nicht gebrochen. Anfang der
achtziger Jahre wurde er ein zweites Mal vor Gericht gestellt, im
Wesentlichen wegen des Fehlverhaltens einer Interviewpartnerin.
KERKERHAFT UND BERUFSVERBOT
Eine italienische Journalistin gab Gotovacs Worten den ihrer Meinung
nach richtigen journalistischen "Drive", und die Redaktion
des Magazins besorgte durch eine sinnentstellende �berschrift den
Rest. Damit machte sie nicht nur die Abonnenten ihrer Zeitschrift
auf den Dissidenten aufmerksam, sondern auch die jugoslawische Polizei.
Dass sie dann vor Gericht zugab, sie habe einiges in ihrem Bericht
verf�lscht, half dem Betroffenen nicht. F�r die nach dem Tode Titos
noch unsicherer gewordenen Beh�rden hatte Gotovac abermals gegen
die Republik konspiriert. Er wurde zu weiteren zwei Jahren Kerkerhaft
verurteilt, verbunden mit anschliessendem Berufsverbot. Heinrich
B�ll hatte sich in dieser Zeit mehrmals schriftlich f�r ihn eingesetzt
und trug dann mit einigen Zagreber Freunden zum Unterhalt der Familie
bei.
Nach der Strafverb�ssung verliess 1984 Gotovac das ber�chtigte
Gef�ngnis von Lepoglava mit einem unheilbaren Leberschaden. Dem
zum gleichen Zeitpunkt verurteilten Historiker Franjo Tudjman, der
seine Beziehungen zu den M�chtigen nicht gekappt hatte, ging es
besser. Nach einigen Monaten wurde er seiner angeschlagenen Gesundheit
wegen ins Gef�ngnisspital �bergef�hrt und von dort vorzeitig in
die Freiheit entlassen. Gotovac und Tudjman kannten einander, lange
bevor die Politik sie wieder zusammenf�hren sollte. Gotovac ahnte
fr�h Tudjmans Hang zur Grossmannssucht voraus. Er wusste, dass sich
dieser als Tr�ger g�ttlicher Erleuchtung betrachtete und bedauerte,
dass er nicht schon in fr�heren Epochen die Geschichte Kroatiens
gestalten konnte.
NACH DER UNABH�NGIGKEIT
Zehn Jahre nach der Verurteilung von Tudjman und Gotovac k�mpfte
Kroatien um Unabh�ngigkeit und politische Neuausrichtung. Der Ex-
General Franjo Tudjman begab sich rechtzeitig in Position und gr�ndete
eine nationale b�rgerliche Partei, die Kroatische Demokratische
Gemeinschaft (HDZ). Dabei bediente er sich eines Tricks, den er
als junger Kommunist gelernt hatte. Er lud seine engeren Freunde
zwecks Parteigr�ndung in ein Gasthaus ein und schickte die ihm weniger
nahestehenden an einen falschen Treffpunkt. Als die zweiten ihren
Irrtum bemerkten und mit Versp�tung bei Tudjman und seinen Getreuen
eintrafen, erhielten sie Bescheid, die Statuten seien verabschiedet
und die Chargen besetzt, aber einem gew�hnlichen Beitritt zur HDZ
stehe nichts im Wege.
Gotovac, der in einer Sammelbewegung nichts zu suchen hatte, legte
mit dem aufstrebenden jungen Politiker Dra�en Budi�a den Grundstein
f�r die liberalsoziale Partei. Die Verbindung von Freiheit und sozialem
Engagement entsprach seiner Weltanschauung. In h�heren Bildungsschichten
genoss er hohes Ansehen, doch er verf�gte nicht �ber den gleichen
Bekanntheitsgrad wie Tudjman. Wie dieser trat er f�r die Beendigung
der kommunistischen Herrschaft und die Unabh�ngigkeit Kroatiens
ein - seine provokante, an die serbischen Gener�le gerichtete, mit
Wortwitz gespickte Rede w�hrend des Kriegs ging den Zuh�rern durch
Mark und Bein.
Nachdem die Existenzgrundlage f�r den neuen Staat verwirklicht
worden war, gingen Tudjman und Gotovac immer deutlicher getrennte
Wege. Der Personenkult, der Pomp, mit dem der sendungsbewusste Pr�sident
seinen Hofstaat ausstattete, die auf Bildung einer neofeudalen Klasse
ausgerichtete, g�nstlingshafte Wirtschaftspolitik widerstrebten
dem Dichter-Philosophen. Im Parlament k�mpfte er gegen die Absicht
der Nationalisten, den Serben in der Verfassung nicht die gleichen
Rechte wie den Kroaten einzur�umen. Die w�hrend der kommunistischen
Unterdr�ckung entstandenen Gemeinsamkeiten waren ersch�pft.
Als Gotovac bei seinem Weggef�hrten Budi�a ebenfalls einen Zug
zum Personenkult feststellte, gr�ndete er Mitte der neunziger Jahre
eine neue, die Liberale Partei. Als deren Kandidat machte er 1996
Franjo Tudjman das Amt des Pr�sidenten streitig. Auf einer Wahlveranstaltung
in Pula wurde er von Polizisten so zusammengeschlagen, dass einzelne
Augenzeugen von einem versuchten Auftragsmord sprachen; der verantwortliche
Polizist wurde danach wegen Trunkenheit verurteilt. In der Pr�sidentenwahl
bekam Gotovac 21 Prozent der Stimmen, doppelt so viele wie die deutsche
FDP in den Wahlen von 2005, aber dennoch kaum mehr als eine Ehrenmeldung.
Oder doch? Nach Tudjmans Tod konnte die Vorherrschaft der HDZ gebrochen
werden. Bei der Wahl des Nachfolgers im Februar 2000 schwang der
von Gotovac tatkr�ftig unterst�tzte Stipe Mesi� obenaus. In einem
Interview mit der "Central Europe Revue" gab er seiner
Genugtuung �ber das Ergebnis Ausdruck und glaubte, dass nun die
T�r zu einem demokratischen Kroatien aufgestossen sei. Von den politischen
Windungen der Nach-Tudjman-Zeit bekam er nicht mehr viel mit. Im
Dezember starb Vlado Gotovac in Rom an den Sp�tfolgen einer im Gef�ngnis
aufgelesenen Hepatitis. Heute scheint sich Kroatien, wenn auch mit
einiger M�he, in die Richtung zu entwickeln, die ihm sein Ma�tre
a penser geben wollte. Im Gegensatz zu einem seiner pessimistischen
Gedichte k�nnen die Kroaten nun �ber ihr Land nachdenken und m�ssen
nicht mehr nur davon tr�umen.
Parallelen im pers�nlichen Schicksal zwischen Vaclav Havel und
Vlado Gotovac sind nicht zu verkennen: Beide wurden f�r ihr Eintreten
f�r die Freiheit der Person bestraft, keiner liess darob den Mut
sinken, und keiner liess sich von einem System k�dern, das er als
ungerecht, wirtschaftlich untauglich und unmenschlich empfand. Beide
philosophierten �ber ihre condition humaine, der Tscheche zum Beispiel
in den Briefen an Olga, der Kroate in zahllosen Essays, von denen
viele erst postum bekannt wurden, und in den Verteidigungsreden
vor Gericht.
IM DENKEN HERMETISCH
So offen er im Gespr�ch sein konnte, so sehr war Gotovac im Denken
Hermetiker; das zeigt auch ein fl�chtiger Blick in seine Gedichte.
Nicht zuf�llig bezeichnete er seine fr�hen Essays als "Fragmente
eines Outsiders". Havel ist offener, konkreter, er vermochte
die Absurdit�t der gesellschaftlichen Situation in konkrete Szenen
auf der B�hne umzusetzen. Geradeheraus waren beide. Doch Gotovac
besass nicht Havels floretthaften psychologischen Sarkasmus, und
Havel griff nicht so tief wie Gotovac, dem Dante Alighieri in der
Dichtung das Mass allen Genies bedeutete. Havel verabscheut das
Leiden, nach Gotovac f�hrt Leiden zu h�herer Glaubw�rdigkeit. In
der praktischen Politik war der Tscheche konkreter, volksnaher und
deshalb erfolgreicher. Wenn man Havel - zu Recht - als Anti-Schwejk
bezeichnet, dann trifft dies erst recht auf Gotovac zu. Erst in
den neunziger Jahren erlaubten die politischen Verh�ltnisse das
physische Zusammentreffen zweier seelen- und geistesverwandter,
langj�hriger Schicksalsgenossen.
Auf Veranlassung von Vlado Gotovacs zweiter Gattin, Simona Sandric,
hat das Gotovac-Institut in Zagreb mit der Herausgabe der gesammelten
Werke in sieben B�nden begonnen. Auf Italienisch gibt ein von Predrag
Matvejevi� eingeleiteter Band ("Muto nodo dell'infinito")
mit �bersetzungen von Giacomo Scotti und Eros Sequi einen starken
Einblick in Gotovacs Gedankenlyrik. Ins Deutsche wurde Vlado Gotovac
bisher nicht �bersetzt. Rudolf Stamm war von 1975 bis 1988 Osteuropa-
und Balkan- Korrespondent der NZZ. Er lebt in Rom.
http://www.nzz.ch/2007/04/28/li/articleDE13W.html
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