Das Ged�chtnis der Kroaten
12. Mai 2007, Neue Z�rcher Zeitung
Das Ged�chtnis der Kroaten
Die National- und Universit�tsbibliothek Zagreb wird 400 Jahre alt
Die National- und Universit�tsbibliothek Zagreb (NSK) gilt mit
ihren 2,5 Millionen B�nden als das kulturelle Ged�chtnis des kroatischen
Volkes. Sie feiert heuer ihr 400-j�hriges Bestehen.
Die National- und Universit�tsbibliothek Zagreb geh�rt zu jenen
Kulturinstitutionen Kroatiens, welche geschichtliche Widrigkeiten
(Pl�nderungen, Diebstahl) heil �berstanden haben. Sie wurde kontinuierlich
ausgebaut und fand schliesslich zu nationaler Gr�sse. Das im Jahr
der Beendigung des neusten Krieges, 1995, bezogene Geb�ude der NSK
mit rund 40 000 Quadratmetern Fl�che und 114 000 Laufmetern Regalen
z�hlt rund 2,5 Millionen B�nde. Die nationale Schatzkammer wird
jeden Tag von 1200 Lesern besucht, w�hrend die Zahl der Internetbesucher
j�hrlich 500 000 betr�gt. Ein Teil des Geb�udekomplexes steht mangels
Finanzen noch immer im Rohbau. Manches ist schon digital abrufbar.
Obligatorisches Schenkungsexemplar
Die National- und Universit�tsbibliothek Zagreb ist keineswegs die
�lteste Bibliothek Kroatiens. Die "Metropolitana", die
Bibliothek der Zagreber Di�zese, etwa stammt aus dem 11. Jahrhundert;
dazu kommen die Bibliotheken diverser Kl�ster. Die NSK ist jedoch
die einzige nationale Bibliothek. Die Anf�nge der NSK sind mit der
Gr�ndung des Gymnasiums durch die Jesuiten in der Zagreber Oberstadt
im Jahre 1606 verkn�pft. Gem�ss Vorschriften des Jesuitenordens
musste jedes Kolleg eine eigene Bibliothek f�hren, was sp�testens
im Jahre 1607 geschehen musste.
Als Kaiser Leopold I. 1699 die Gr�ndung der Akademie in Zagreb anordnete,
an der Theologie und sp�ter Recht und Philosophie studiert werden
konnten, wurde die Kollegsbibliothek zur Bibliothek der Akademie.
Mit dem Verbot des Jesuitenordens 1773 �ffnete sich die Bibliothek.
1837 erhielt sie den Namen "Nationalis Academia Bibliotheca".
Es sollten aber einige Jahre vergehen, bis die Bibliothek 1874 mit
der Gr�ndung der Zagreber Universit�t tats�chlich dem allgemeinen
Publikum zug�nglich wurde. Die Verleger wurden zu einem obligatorischen
Schenkungsexemplar verpflichtet, was f�r Istrien und Dalmatien,
die unter fremder Verwaltung standen, nicht galt.
Umzug und Erweiterung
1883 bezog die Bibliothek vorl�ufige neue R�umlichkeiten an der
Universit�t. Nach dem Projekt des Architekten Rudolf Lubynski wurde
f�r die Bibliothek 1911 bis 1913 eines der sch�nsten Geb�ude des
Zagreber Sezessionismus errichtet. Zu diesem Zeitpunkt umfasste
die Bibliothek �ber 125 000 B�nde. Mit der Zeit entsprach das Geb�ude
am Maruli�-Platz nicht mehr den Bed�rfnissen. 1995 bezog die NSK
das neue, zweite Geb�ude in der N�he des Stadtzentrums.
Der Wirtschaftsaufschwung, die Vermehrung der Druckerzeugnisse und
das erstarkte Nationalbewusstsein trugen dazu bei, dass die Bibliothek
durch Ank�ufe und Sammlungen in den Besitz privater Archive und
Bibliotheken gelangte. Der Fundus der NSK umfasst verschiedene Sammlungen
von Handschriften aus dem 14. Jahrhundert bis heute, Sammlungen
von Grafiken, Partituren, Erstdrucken, Korrespondenzen, Kodizes,
Inkunabeln und geografischer Karten. Das "Missale" aus
dem Jahre 1483, das erste in Kroatien gedruckte Buch, geh�rt ebenso
zum Fundus wie "Stultifera navis" ("Das Narrenschiff")
von Sebastian Brant, Basel 1497.
Ein besonderes Augenmerk richtete die Bibliothek immer schon auf
die Werke der kroatischen Auswanderer, die seit den osmanischen
Kriegen kontinuierlich das Land verliessen und Europa in seiner
ganzen L�nge und Breite vom p�pstlichen Rom bis zum reformierten
Magdeburg, von London bis Moskau durchquerten. Wenn sie auch unter
anderen Namen wirkten und ihre B�cher vorwiegend in lateinischer
Sprache ver�ffentlichten, sind sie doch ein Teil des kroatischen
kulturellen Erbes. Der f�hrende Theologe des Basler Konzils, Johannes
de Ragusa (Ivan Stojkovi�), der Schriftsteller Marinus Darsa (Marin
Dr�i�), der Philosoph Franciscus Patricius (Franjo Petri�), der
eifrige Verteidiger der Reformation Matthias Flacius Illyricus (Matija
Vla�i�), der Bischof von Split, Vatikankritiker und Verk�nder der
religi�sen Toleranz Marcus Antonius de Dominis (Markantun Gospodneti�),
der Meister der Illuminationskunst Giorgio Giulio Clovio (Julije
Klovi�), der in Russland t�tige Missionar und Schriftsteller Georgius
Crisianus (Juraj Kri�ani�), der Jesuitenpater und Naturwissenschafter
Roger Joseph Boscovich (Rudjer Bo�kovi�) hinterliessen Werke von
unverg�nglichem Wert. Soweit sie in der Sammlung der NSK vorhanden
sind, gelten sie als bibliografische Besonderheiten. Andere Autoren
blieben in ihrer durch Kriege, politische Konflikte und Ideologien
zerrissenen Heimat und schrieben kroatisch und/ oder lateinisch
wie beispielsweise Marcus Marullus (Marko Maruli�).
Ein Kroate namens Dobri� Dobri�evi� hatte im 15. Jahrhundert eine
Druckerei in Brescia betrieben. Aus seiner Druckerei konnte "La
Divina Commedia" von Dante Alighieri (1487) erworben werden.
Die kroatischen Protestanten, die sich vor allem in Deutschland
niederliessen, hatten einen eigenen Verlag in Urach (W�rttemberg)
gegr�ndet. Ihre Schriften verbreiteten sie in der Muttersprache
mit der damaligen glagolitischen und kroatisch kyrillischen Schrift
in Kroatien. Je ein Exemplar in glagolitischer und kroatisch kyrillischer
Schrift des Neuen Testaments schenkte der NSK im Jahre 1956 kein
anderer als der damalige jugoslawische Pr�sident Josip Broz Tito.
Gewisse Dinge sind in der Tat nur durch Ironie zu erkl�ren.
Auch ein Kulturzentrum
Aus schweizerischer Sicht erw�hnenswert ist die Ausgabe des Korans
("Alcoran") aus dem Jahre 1550, der vom Orientalisten
Theodor Buchmann �bersetzt und kommentiert wurde. Neun Briefe aus
der Korrespondenz von Albert Einstein mit Vladimir Vari�ak zwischen
1909 und 1913 befinden sich in der Schenkung der Familie Vari�ak.
In der NSK werden Ausstellungen, Vortr�ge, Konzerte und Buchpr�sentationen
organisiert. Sie ist zu einem Kulturzentrum herangewachsen. Ihre
wichtigste Aufgabe aber ist es, eine verl�ssliche H�terin des kroatischen
schriftlichen Erbes zu sein.
Tihomir Nui�
Tihomir Nui� arbeitet in einem Anwalts- und Notariatsb�ro in Laufenburg.
Daneben ist er Redaktor des Internetportals http://www.arhiva.croatia.ch.
2004 erschien von ihm: Auf
der Suche nach Freiheit und Brot, Spuren der Kroaten in der Schweiz.
Verlag Ivo Ledergerber, St. Gallen.
NZZ-Das
Ged�chtnis der Kroaten - pdf
NZZ-online: http://www.nzz.ch/2007/05/12/fe/articleF0ANW.html
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